Auf Tour durch Norwegen: Hymercar Grand Canyon im Test

Wer in den Sommermonaten keine Hitze verträgt, dem rät man oft in Richtung Skandinavien aufzubrechen. Im hohen Norden, so heißt es, sei es zwischen Juli und September sehr erträglich, die Temperaturen wandern selten über 25 Grad und nachts kann es schon einmal tief einstellig werden. Nur im Sommer 2018 scheint vieles anders, die Klimaanlage unseres Hymercar Grand Canyon läuft über weite Strecken auf Hochtouren und zumindest während der gut 1.700 Kilometer langen Anreise war nichts zu spüren, von der kühlen nordischen Witterung.

Wir meiden die Fährüberfahrt zwischen Dänemark und Norwegen, nehmen auf unserem Weg gen Norden gerne noch Schweden mit und übernachten – freistehend – einige Kilometer nach Malmö. Zu diesem Zeitpunkt war Deutschland noch Teilnehmer der Fußball Weltmeisterschaft und unser Camping Van darf das erste Mal als Schlafplatz dienen. Es kann (und wird) auf einer längeren Reise quer durch den hohen Norden Europas sehr gemütlich im Fiat Ducato. Das hintere (auf Tellerfedern aufliegende) Bett geht allerdings, mit viel verbundener Nähe, für zwei Personen bis knapp 190 Zentimeter Körpergröße in Ordnung – noch mehr Freiheiten bietet das Aufstelldach, das sich im Sommer jedoch für unser Empfinden zu schnell aufheizt.

Beim Kauf nicht den schwächsten Diesel wählen

[adrotate group=”1″]Am späten Abend, bei immer noch 20 Grad Außentemperatur und sich kaum senkender Sonne (der Midsommer lässt grüßen), freuen wir uns über die zahlreichen Belüftungsmöglichkeiten des Hymercar samt integriertem Insektenschutzgitter. Einigermaßen ausgeruht – wehe dem, der seinen Campingbus nachts nicht waagerecht stellt – geht es nordwärts. Die Straßen sind hervorragend, der Sprit für deutsche Verhältnisse erwartungsgemäß teuer, aber die zahlreichen Rastmöglichkeiten entlang unserer Route dafür umso besser. In Norwegen angekommen lassen wir Oslo (zunächst) links liegen und sind spätestens ab Kongsberg recht froh darüber, dass unser Fiat Kastenwagen nicht den schwächsten Dieselmotor an Bord hat.

Der 2,3-Liter große Multijet Diesel in unserem Ducato leistet 148 PS und hilft die mehr als 2,9 Tonnen Lebendgewicht des Grand Canyon vernünftig die wendigen Straßen hinaufzutreiben. Weniger dürfte es in unseren Augen nicht sein, schielen wir im Gegenteil eher mit großen Augen in Richtung der 177 PS starken Topmotorisierung, die wir im Modellprospekt entdeckt haben. Die Bestellung der vergleichsweise zähen Sechsgang-Automatik sollte man sich indes überlegen, wenngleich sie mit etwas Eingewöhnung weitaus weniger Temperament kostet, als wir ursprünglich befürchtet haben. Ein Rennwagen wird der Fiat Ducato ohnehin keiner werden, lässt er sich allerdings für ein sechs Meter langes Fahrzeug durchaus gemütserhellend über die engen Bergstraßen Norwegens dirigieren.

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Kompakte Abmessungen, umfangreich ausgestattet

Generell fühlt sich der Hymer Grand Canyon (selbst für normale PKW-Fahrer) bereits nach kurzer Zeit viel kompakter an, als die Außenabmessungen dies vielleicht erahnen lassen. Die Stellplatzsuche glückt ohne große Suche und selbst kleinere Haltemöglichkeiten an den zahlreichen norwegischen Seen und Fjorden stellen keine sonderliche Herausforderung dar. Als Hürde sehen wir da schon eher das Verriegelungssystem mancher Laden und Schränke an. Als die Straßen vor unserem Etappenziel nahe Tinn Austbygd schmäler und die Kurven durchaus enger werden, öffnen sich die Verriegelungen des Kühlschranks und so mancher Ablage – mit denkbarem Resultat. Es hilft das Allzweckwerkzeug jedes Campers weiteren Schaden zu vermeiden. Eine Rolle Panzertape, sie kann so hilfreich sein.

Richtig campieren will gelernt sein und auch wir müssen uns erst herantasten, an das bisher unbekannte Camperleben. Bis zu 100 Liter Frischwasser tanken, Grauwasser ablassen und natürlich die mehrere Liter fassende Toilettenkassette entleeren – in Norwegen kein Problem, wenn man entsprechende Apps und Karten zur Verfügung hat. Meist sind die Servicestationen ohne Entgelt zu benutzen und vielerorts so malerisch gelegen (Beispiel Tresfjorden), dass man beinahe versteht, warum die Norweger sie nicht kilometerweit vorher anpreisen. Im Hymercar Grand Canyon gehen diese Arbeiten leicht von der Hand, eine Schalttafel informiert über alle Betriebszustände und sehr erfreulich: die Bordbatterie hält bei bedachter Nutzung auch mehrere Tage Freistehen aus.

Nicht für Jedermann – das Jedermannsrecht in Norwegen

[adrotate group=”1″]Natürlich kann man auch auf Campingplätzen seine Vorräte wieder auffüllen, umgerechnet zwischen 25 und 35 Euro für wenige Stunden übernachten ist auf der anderen Seite eine oftmals unnötige Investition. Ja, auch wir wissen um die Auslegung des Jedermannsrecht in Skandinavien und das Motorfahrzeuge davon ausgenommen sind. Deswegen gibt es hier auch keine Tipps zum Wildcampen und vor allem keine Stellplatzkoordinaten. Norwegen ist weitläufig, seine Bewohner meist tolerant und so soll jeder für sich entscheiden, wo und wie er nachts sein Wohnmobil oder Campingbus parkt. Wir für unseren Teil hatten keinerlei Probleme und vor allem nie Besuch durch die lokalen Ordnungshüter.

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Morgens nahe Ålesund mit dem rauschenden Klang des Atlantiks aufzuwachen, keine Menschenseele weit und breit, aber gleichzeitig auf keinen Luxus verzichten müssen – der Grand Canyon ist hierfür genau der richtige Weggefährte. Die Nasszelle funktioniert tadellos, wenngleich durch den beengten Raum ein wenig die persönliche Organisationsfähigkeit gefragt ist. Richtig Platz haben nur die Kleinsten, doch auch als Erwachsener schafft man es sich ordentlich zu frisieren. Flugs aus der Dusche gefallen, die Pfanne in die Hand genommen und sich erst einmal ein Frühstücksei gebraten. Im Hymercar Grand Canyon gibt es eine Kochstelle mit zwei Gasbrennern, die durch zwei Gasflaschen (1x 5kg, 1x 11kg) im Heck des Ducato versorgt wird. Durch den verbauten Crashsensor entfällt zudem das Sichern der Behälter für die Fahrt – wer auf Nummer sicher gehen will, der kann direkt am Herd den Gaszufluss abermals verschließen.

Gas- und Dieselverbrauch halten sich in Grenzen

Mangels Kälte haben wir auf den Test der Gasheizung verzichtet, konnten nach 14 Tagen kochen und duschen aber nicht feststellen, dass die gut gefüllten Gasreserven zur Neige gehen. Aufgemerkt: wer morgens ein Warmduscher ist, der sollte gute 20 Minuten Zeit einplanen, bis das Wasser ordentlich temperiert ist. Zurück auf der Straße und während einer unserer zahlreichen Tankstopps rekapitulieren wir den Verbrauch der letzten 3.000 Kilometer. Im Schnitt 10,0 Liter Diesel gehen für das Gebotene und die vorhandenen Wege mehr als in Ordnung. Die Durchschnittsgeschwindigkeit lag allerdings unter ferner liefen und mehr als 80 Sachen sind in Norwegen ohnehin nicht erlaubt (mit einem Camper überdies kaum möglich).

Obwohl der Hymer Grand Canyon (mit Aufstelldach) grundlegend für vier Personen ausgelegt ist, reist es sich am besten zu zweit. Der Grund? Die hinteren Sitze sind zwar vollwertig, auf langer Strecke aber (anders als die tollen Vordersitze) wenig bequem. Kinder nach dem Grundschulalter werden hier bereits an ihre Grenzen stoßen. Hinzu kommt, dass die vergleichsweise beengten Platzverhältnisse oftmaliges Umräumen erfordern und Bewegungsfreiraum Mangelware ist. Kritik? Nein, eine Empfehlung – schließlich will man seinen Urlaub genießen und dazu gehört auch, dass man die Grenzen seines Camping Vans kennt.

Auch in Städten: keine Probleme bei der Parkplatzsuche

Im beschaulichen Bergen angekommen sind zentrale Parkplätze für ein sechs Meter langes Gefährt Mangelware, aber nicht unmöglich zu finden. Es sei erwähnt, dass wir in keiner norwegischen Stadt Schwierigkeiten mit der Fahrzeuggröße hatten und sich der Verkehr für hiesige Verhältnisse selbst im urbanen Raum angenehm unaufgeregt gestaltet. Stadtnahe Campingplätze haben wir auf unserer Tour dennoch gemieden, sind wir doch ohnehin lieber in der Natur unterwegs gewesen. Über die norwegischen Touristenhotspots Trollstigen und Trolltunga geht es langsam aber sicher zurück Richtung Oslo. Atemberaubende Panoramen laden zum oftmaligen Verweilen an den wenig bis gar nicht befahrenen Straßen ein, das nötige Rüstzeug zum Rasten trägt der Hymer Grand Canyon dabei immer mit sich. Eine Garnitur Campingmöbel ist platzsparend und schnell zu erreichen im Heck des Ducato verstaut, wer dazu noch die optionale Markise ein Stück weit ausfährt, der spricht nicht mehr von Camping, sondern schnell von „Glamping“.

Bevor es über Schweden wieder heimwärts geht statten wir der norwegischen Hauptstadt noch einen Kurzbesuch ab. Da Deutschland zu diesem Zeitpunkt bereits gegen die „Fußballmacht“ Südkorea aus der WM ausgeschieden war, galt es ein schwedisches Match in einer der zahlreichen Bars der Stadt zu verfolgen. Auch in Oslo hätten wir mit unserem Hymercar viele Parkmöglichkeiten finden können, wir haben es aber vorgezogen außerhalb zu stehen und dafür die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Gen Süden, über die teuren Brücken Dänemarks fahrend, gilt es ein letztes Mal eine Servicestation anzufahren, so manchen Inhalt zu entleeren und sich wieder auf heimische Gefilde einzustellen.

Fazit

Das in vielen Köpfen vorherrschende Bild vom klischeehaften Camper mit Gartenzwerg und Sandalen samt weißer Tennissocken, durch Campingbusse wie dem Hymercar Grand Canyon wird es auf den Kopf gestellt. Weder bieder noch altbacken kommt dieser moderne Kastenwagen daher, ist für den extravaganten Hipster genauso geeignet wie für den anspruchsvollen Mobilisten. Sechs Meter Fahrzeuglänge gelten bei Wohnmobilfahrern als kompakt, wir meinen es ist ausreichend – weniger sollte es aber für eine über 6.000 Kilometer andauernde Tour nicht sein. Qualitativ hat uns das Hymercar Grand Canyon in jedem Fall überzeugen können, weiß es überdies durch viele Detaillösungen zu begeistern und bietet auf kleinster Fläche nicht nur enorm viel Stauraum, sondern auch ein Höchstmaß an Flexibilität. Die verbaute Technik macht einen mehr als soliden Eindruck und ist selbst für unerfahrene Campingneulinge schnell verständlich. Unser Prädikat: Empfehlenswert.

Technische Daten*

Modell: Hymercar Grand Canyon
Fahrgestell: Fiat Ducato
Motor: Vierzylinder-Diesel, Turbolader, 2.287 ccm
Leistung: 148 PS (109 kW) bei 3.600 U/min
Drehmoment: 380 Nm ab 1.500 U/min
Antrieb: Vorderradantrieb, Sechsgang-Automatik
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): N/A
Höchstgeschwindigkeit: N/A
Abmessungen (L/B/H): 5,99 m/2,08 m/2,55 m
Gewicht fahrbereit: 2.880 Kg
Zulässige Gesamtmasse: 3.300 Kg (optional bis 4.000 Kg)
Schlafplätze: 2 + 2 im Hochdach (optional)
Bettenmaß: 152/140 x 196 cm
Kühlschrankvolumen: 90 Liter
Flammenkocher: 2
Frischwassertank: ca. 100 Liter
Abwassertank: ca. 100 Liter
Warmwasser Boiler: ca. 11 Liter
Gasflaschen: 1x 5 Kg / 1x 11 Kg
Tankvolumen: ca. 90 Liter (120 Liter optional)
Grundpreis: 48.190 Euro

*Herstellerangaben

Bilder: Lydia Sölva und Thomas Vogelhuber

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